Die Steuerhistorikerin und Baarerin Gisela Hürlimann über die Häufung von Steuer-Initiativen, die Probleme des Mittelstands und die Zukunft des Tiefsteuerkantons Zug
Die 99 Prozent-Initiative der Juso wurde im September vom Volk bachab geschickt. Waren Sie überrascht über das deutliche Nein?
Nein. Die Initiative wollte Kapital stärker besteuern. Das ist in der Schweiz sehr schwierig. Zwar ist die Verteilung des Vermögens in der Schweiz tatsächlich ungleich. Aber diese Ungleichheit ist offenbar gesellschaftlich weitgehend akzeptiert. Das hat vor allem mit der tiefen Arbeitslosenquote und dem Ausbau der sozialen Sicherung in der Schweiz zu tun. Wo ich aktuell die grössere Gefahr für gesellschaftliche Spannungen sehe, ist bei den Immobilien.
Weil die Preise so stark steigen?
Ja, in diesem Bereich nimmt die Ungleichheit stark zu. Eine mittelständische Person bekommt heute kaum mehr eine Hypothek. Dabei wären Immobilien genau jetzt, wo andere Formen der Vorsorge wie die Pensionskassenguthaben als unsicher wahrgenommen werden und wo Negativzinsen das Ersparte belasten, eine Möglichkeit für diesen Mittelstand, sich abzusichern.
«Linke bläst zur nächsten Steuerschlacht» titelte der Blick unlängst. Dies mit Blick auf die Teilabschaffung der Stempelsteuer, die im Februar zur Abstimmung kommt. Auch da geht es um die Besteuerung von Kapital. Warum dieser Druck auf Steuerthemen?
Vor dem Hintergrund der erwähnten ungleichen Reichtumsverteilung ist es logisch, dass sich die Linke gegen diese Steuerreform wehrt. Die Stempelsteuer, die eine Vorgeschichte in der französischen Revolution und der Helvetik hat, wurde 1918 nach dem ersten Weltkrieg als erste und lange Zeit einzige Bundessteuer ausserhalb des Notrechts implementiert. Die anderen Bundessteuern auf Einkommen, Vermögen und Umsatz waren nur provisorisch. Als dann Ende der 50er Jahre die direkte Bundessteuer in der Bundesverfassung dauerhaft verankert wurde, kam die Stempelsteuer seitens der Eigentumsvertreter unter Druck, und dieser hält bis heute an.
Haben wir in der Schweiz denn ein Steuergerechtigkeitsproblem?
Die Fiskalpolitik der Schweiz ist relativ breit akzeptiert, weil wir oft Gelegenheit haben, darüber abzustimmen. Ein Problem waren und sind immer mal wieder die interkantonalen Unterschiede in der Steuerbelastung. Hier schaffen der Finanzausgleich und ein praller Subventionstopf für ländliche und strukturschwächere Regionen eine Art politische Befriedung. Das weiss man auch in Zug. Für Skepsis sorgen Sondervereinbarungen wie zum Beispiel die Pauschalbesteuerung für reiche Ausländer oder die privilegierte Holdingbesteuerung, die schon in den 70ern unter Druck war, nun aber auf Druck der EU und der OECD abgeschafft wurde.
Die von den G20-Staaten beschlossene globale Mindeststeuer für Unternehmen setzt den Kanton Zug unter Druck. Wie nachhaltig ist das Geschäftsmodell der Tiefsteuerkantone Ihrer Meinung nach noch?
Die Schweiz sollte diese Offensive nicht persönlich nehmen, sondern als Folge davon sehen, dass Staaten wie die USA oder Deutschland selber kein Steuerdumping als fiskalpolitisches Geschäftsmodell betreiben können. Regierungen müssen wieder vermehrt Marktversagen auffangen. Krisen verursachen Kosten. Und international fluides Steuerkapital schafft einfach Gerechtigkeitsprobleme. Zug ist da mitgemeint Wobei: Zug wurde nicht nur infolge seiner Steuerpolitik reich. Der Kanton war als Tor zu Zürich schon im 19. Jahrhundert relativ stark industrialisiert, was zu einem hohen Pro Kopf-Einkommen führte. In den 1920ern sahen Zürcher Wirtschaftsanwälte, die international und in Zug vernetzt waren, dann die Chance, im Kanton Zug ein günstiges Steuerklima für Unternehmen zu schaffen. Heute ist hier ein breites wirtschaftliches Cluster etabliert, auch, aber nicht nur wegen der Steuern. Ein paar Prozent mehr Steuern werden das wirtschaftliche Fundament von Zug wohl kaum zerstören.
Inducta Uhren
Um mehr Gerechtigkeit geht es auch bei der Individualbesteuerung, die nun wieder Fahrt aufnimmt. Warum dauert der Streit um die Abschaffung der Heiratsstrafe so lange an?
Die Steuergeschichte ist ein Spiegelbild unserer gesellschaftlichen Verhältnisse. Wir haben das Frauenstimmrecht national und auch in Zug erst 1971 eingeführt – warum sollte da das Steuerrecht viel progressiver gewesen sein? Nun aber haben die Gleichstellung, der finanzielle Druck in der Vorsorge sowie auch der Fachkräftemangel die Grundlage dafür gelegt, dass die Individualbesteuerung nun doch eine reelle Chance hat. Das Thema wird europaweit breit diskutiert.
Bald werden aber möglicherweise gar nicht mehr alle arbeiten können. Die Arbeitswelt verändert sich durch die Digitalisierung rasant, Tieflohnjobs werden sukzessive eliminiert.
Anständige Arbeit führt zu einem anständigen Lohn – diese historisch gewachsene Leitlinie ist tatsächlich angekratzt aufgrund der Entwicklungen in Wirtschaft und Technologie. Darüber muss sich die Gesellschaft Gedanken machen. Dieses Dilemma würde aber auch nicht durch ein bedingungsloses Grundeinkommen, das immer wieder aufploppt als möglicher Lösungsansatz, verschwinden.
Weitere Informationen:
Literaturhinweis: Worlds of Taxation
Literaturhinweis: Steuern und Ungleichheit