«Personen, die Missstände aufdecken, werden noch immer als Nestbeschmutzer gesehen»

by | 21. March 2023 | Standort Zug, Wettbewerb & Regulatorisches, Zuger Wirtschaftskammer

EU-Länder verschärfen aufgrund einer 2019 eingeführten neuen Richtlinie ihre Whistle Blowing-Bestimmungen. Dies trifft auch Schweizer KMU ab einer bestimmten Grösse, die in der EU geschäften. Sven Millischer von AC Assets Control in Zug, erklärt, was es damit auf sich hat.

Herr Millischer, die EU hat 2019 die sogenannte Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern, sprich Whistleblowern, eingeführt. Wie betrifft das Schweizer Unternehmen?
Für Unternehmen, die in EU-Ländern geschäften und dort mehr als 50 Mitarbeitende beschäftigen bzw. einen Umsatz von mindestens 10 Millionen Euro erzielen, gelten die Bestimmungen im jeweiligen EU-Land. Es sind also nicht wenige KMU aus der Schweiz betroffen, auch aus dem Wirtschaftsraum Zug. Vielen ist das nicht bewusst.

Wie weit ist die Einführung der Richtlinie in der EU konkret?
Die einzelnen EU-Ländern sind verpflichtet, die Richtlinie bis 2023 in ihrer jeweils nationalen Gesetzgebung umzusetzen. Eigentlich hätte es schon 2022 soweit sein sollen. Bei der Anpassung an die Gesetze sind Verschärfungen der Bestimmungen in den einzelnen EU-Ländern möglich, aber keine Abschwächungen. Deutschland als wichtigster Wirtschaftspartner der Schweiz könnte im Herbst soweit sein.

Wenn ich als Schweizer KMU betroffen bin via Tochtergesellschaft: was muss ich tun?
Unternehmen dieser Grösse sind verpflichtet, eine Meldestelle im entsprechenden Land einzurichten. Die kann relativ simpel sein, und bei kleineren Firmen darf die Stelle auch mit anderen Unternehmen geteilt werden. Generell empfiehlt sich eine externe Stelle, um die Gewissheit zu haben, dass Fälle auch wirklich gemeldet werden. Nur bei einer Tochtergesellschaft pro Forma eine Stelle einzurichten, macht aus meiner Sicht keinen Sinn. Das Meldesystem sollte gleich für die ganze Gruppe eingeführt und aufgesetzt werden. Zumal Schweizer auch via EU-Missstände anprangern können.

Wie meinen Sie das?
Ein Whistleblower aus der Schweiz kann theoretisch auch über die Meldestelle der Tochter in der EU gehen, wenn er einen Missstand  adressieren will. Grundsätzlich sollte eine Meldestelle nicht einfach als ein Kostenfaktor betrachtet werden, sondern als eine Chance, Missstände innerhalb der Firma aufzudecken. Dabei geht es längst nicht nur um strafrechtlich relevante Fälle. Es ist auch im Interesse der Firma, an andere Informationen wie Mobbing, Sicherheitsrisiken usw. zu kommen. Das ist letztlich Teil eines guten Risikomanagements.

Alles redet über ESG (Environment, Social, Governance). Muss man die Bemühungen der EU in Sachen Whistle Blowing auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit sehen?
Auf jeden Fall. Eine Meldestelle ist Teil einer guten Unternehmensführung. Die grossen internationalen Konzerne in der Schweiz verfügen natürlich bereits alle über solche Instrumente. Gesetzlich aber hinkt die Schweiz beim Whistle-Blowing wieder einmal hinter Europa her.  2020 hat Bundesbern die Ausarbeitung eines griffigen Gesetzes abgelehnt. Früher oder später wird das Thema aber wieder zurück auf die politische Agenda kommen. Der internationale Druck auf die Schweiz steigt.

Die Fälle rund um die Schweizer Whistle Blower Rudolf Elmer oder eine ehemalige Nestlé-Kaderfrau gehören zu den prominentesten in der Schweiz. Was zeigen sie?
Personen, die Missstände aufdecken, werden hierzulande zu wenig geschützt und werden noch immer als Nestbeschmutzer gesehen. Insofern haben die Fälle Elmer und Nestlé eine abschreckende Wirkung für alle potenziellen Whistleblower, auch wenn sich im Falle von Nestlé die Frau durchgesetzt hat. Der persönliche Preis dafür war aber sehr hoch. Dies ist bedauerlich.

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Sven Millischer (Bild) ist Head of Open Source Intelligence bei der AC Assets Control AG in Zug, einer Investigation-Boutique, die im Auftrag von Institutionen, Unternehmen oder Behörden Informationen über Personen, Firmen oder Vermögenswerte recherchiert und analysiert. Im Bereich «Whistle-Blowing» betreibt AC Assets Control externe Meldestellen für Unternehmen. Dabei triagiert AC Assets Control die eingegangenen Fälle und führt vertiefte Abklärungen durch.

AC Assets Control

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